Hollywood liebt Filme über Menschen, die „anders" sind. Auffallend oft gehen Oscars an Darstellungen von Menschen mit Behinderungen. Noch auffälliger ist dabei aber die Tatsache, dass die ausgezeichneten Darsteller selbst kein Handicap haben.
Tom Hanks als Forrest Gump, Dustin Hoffman als Rain Man, Daniel Day-Lewis in „Mein linker Fuß” - einige der beeindruckendsten Schauspielleistungen stammen von Darstellern in Rollen körperlich oder geistig beeinträchtigter Menschen. Gespielt werden sie allerdings von nicht-behinderten Darstellern.
Ein großartiges Gegenbeispiel kam 2019 mit THE PEANUT BUTTER FALCON ins Kino. Darin spielt Zack Gottsagen in der Hauptrolle einen Wrestling-verrückten Heimbewohner, der eines Tages ausbüxt, um sich seinen großen Traum zu erfüllen.
Das unglaubliche Talent des Newcomers mit Down-Syndrom machte seine Kollegen, die Hollywood-Stars Shia LaBeouf und Dakota Johnson, zu seinen größten Fans:
„Er ist einer der authentischsten Menschen, die ich je getroffen habe. Zack ist ein wahrhaftiger, ernstzunehmender, aufrichtiger Schauspieler und Mensch. Und das merkt man seiner Arbeit an.” (Shia LaBeouf)
Aber nicht nur der US-amerikanische Newcomer überzeugte durch sein Können. Für die Synchronrolle von Zack Gottsagen wurde der deutsche Schauspieler Jonas Sippel gecastet, der ebenfalls das Down-Syndrom hat. Er setzte sich im Casting gegen andere behinderte und nicht-behinderte Kandidaten durch. Sippel ist Mitglied des Berliner Theaters RambaZamba und beeindruckte mit seiner nuancierten und authentischen Synchronarbeit.
Bei all der Begeisterung, die Zack Gottsagen angesichts seiner Performance in THE PEANUT BUTTER FALCON von Kritikern und Publikum erntet, darf man allerdings eines nicht vergessen: Er ist eine Ausnahme und damit Teil einer größeren Kontroverse, mit der sich Schauspieler in letzter Zeit immer öfter konfrontiert sehen... Warum wurde Scarlett Johansson in „Ghost in the Shell” besetzt und keine Asiatin?
Warum werden Homosexuelle im Mainstream-Kino im seltensten Fall von Homosexuellen gespielt (siehe „Call Me By Your Name” oder BROKEBACK MOUNTAIN)? Was ist der Unterschied zum mittlerweile als Rassismus geächteten Blackfacing, bei dem weiße Schauspieler zu Schwarzen umgestylt werden, wie bei Angelina Jolie, die in „Ein mutiger Weg" eine Journalistin mit kubanisch-afrikanischen Wurzeln spielte:
Warum vergibt man die Rollen nicht gleich an farbige Schauspieler? Liebt Hollywood am Ende zwar Filme über Menschen, die anders sind, eben diese Menschen selbst aber nicht? Nachdem Frankreichs Export-Schlager „Ziemlich beste Freunde” 2011 die Herzen der Zuschauer im Sturm eroberte und - auch aufgrund seines Umgangs mit dem Thema Behinderung - mit Begeisterung aufgenommen wurde, stieß das US-Remake sechs Jahre später durch die Besetzung von Bryan Cranston als Rollstuhlfahrer plötzlich auf Kritik.
Eine heftige Debatte entbrannte um die Frage: Sollte ein nicht-behinderter Schauspieler in einer Rolle eines Menschen mit Behinderung besetzt werden? Der in die Kritik geratene Darsteller Bryan Cranston fand auf diese Frage eine eigene Antwort:
„Wir müssen die Möglichkeiten für Schauspieler mit Behinderungen erweitern. Ich denke, für diese Rolle als Tetraplegiker besetzt zu werden, war am Ende eine geschäftliche Entscheidung. Wir werden als Schauspieler gebeten, andere Menschen zu sein, andere Menschen zu spielen.”
Dass Schauspieler und Schauspielerinnen Menschen darstellen, die sie nicht sind, liegt in der Natur der Sache. Das ist ihr Beruf. Wenn es um die Darstellung einer Person mit körperlichen und/oder geistigen Beeinträchtigungen geht, stellt sich allerdings die Frage, nach welchen Kriterien Rollen besetzt werden und ob es legitim ist, eine der ohnehin seltenen Rollen mit Behinderung an einen nicht-behinderten Darsteller zu vergeben. Bei der Frage, wer was spielen sollte oder gar darf, wünscht sich Bryan Cranston eine offene Debatte:
„Ich weiß nicht, was zulässig ist und was nicht, wo verläuft die Grenze? Ich denke, diese Fragen sollte man diskutieren.”
Der Umstand, dass beispielsweise Leonardo DiCaprio den geistig behinderten Arnie in „Gilbert Grape” spielt, macht seine darstellerische Glanzleistung nicht weniger ergreifend. Für seine Performance wurde der damals 19-jährige DiCaprio für einen Oscar und einen Golden Globe nominiert.
Auf der anderen Seite steht der Oscar-Gewinn der gehörlosen Marlee Matlin, die mit 21 Jahren die jüngste Schauspielerin ist, die für eine Hauptrolle mit einem Academy Award ausgezeichnet wurde. Für ihre Performance in „Gottes vergessene Kinder" gewann sie 1987 neben dem Oscar auch einen Golden Globe.
Seitdem sind über 30 Jahre vergangen und es hat sich kaum etwas verändert. Marlee Matlin blieb die bis dato letzte Oscar-Preisträgerin mit Handicap. Über die Unsichtbarkeit von behinderten Schauspielern in Hollywood sagt sie:
„Es gibt etliche Schauspieler mit Behinderungen, nicht nur in den USA. 2% der Rollen in Hollywood sind für behinderte Figuren und von diesen 2% werden nur 5% von Menschen mit Behinderung gespielt. Der Rest wird von Schauspielern ohne Handicap gespielt.”
Matlin wünscht sich, dass die Castingverantwortlichen die Bedeutung von echter Diversität noch mehr anerkennen:
„Diversität ist wundervoll. Ich denke aber, dass man Menschen mit Behinderung nicht als Teil dieser Diversität begreift."
Obwohl 2017 gleich eine ganze Oscar-Verleihung unter dem Thema „Diversität" stand, suchte man behinderte Schauspieler vergebens. Bis es soweit ist, dass auch sie endlich die Chancen bekommen, die sie verdienen, ist der Weg noch weit. Dennoch gibt es neben dem Newcomer Zack Gottsagen bereits einige etablierte Schauspieler mit Handicap, die sich in Hollywood mitunter einen großen Namen gemacht haben und die hier auf keinen Fall vergessen werden sollten. Das ist unsere Top 3:
Christopher Reeve
Zu weltweitem Ruhm gelangte Reeve als Superman in Richard Donners gleichnamigem Kultfilm und den darauffolgenden Fortsetzungen.
Aber auch nachdem er durch einen Reitunfall vom Hals abwärts gelähmt war, arbeitete Reeve als Schauspieler erfolgreich weiter. Nur neun Monate nach seinem Unfall kämpfte er sich ins Leben zurück und hielt eine beeindruckende Rede bei der Oscar-Verleihung 1996.
Sein Engagement für Menschen mit Wirbelsäulenverletzungen und seine Willensstärke ließen ihn im wahren Leben genau der Held werden, den er als Superman in seinen Filmen verkörpert hatte. Für seine Rolle als Architekt im Remake des Hitchcock-Klassikers „Das Fenster zum Hof” wurde Reeve für einen Golden Globe nominiert und gewann einen Screen Actors Guild Award. Für die Serie „Smallville” kehrte er 2003 und 2004 als Dr. Virgil Swann ins Superman-Universum zurück und machte damit Millionen Fans glücklich. Einen weiteren geplanten Auftritt als Dr. Swann konnte Reeve leider nicht mehr realisieren. Er verstarb 2004.
Peter Dinklage
Mastermind George R. R. Martin höchstpersönlich wollte nur einen für die Rolle des Tyrion Lennister: Peter Dinklage.
Und er lag goldrichtig mit seiner Wahl, denn obwohl - oder gerade weil - diese Figur in Game of Thrones der schlimmste Trinker mit dem wohl größten Frauenverschleiß ist (und das will bei dieser Serie schon was heißen), wurde Peter Dinklages Tyrion zum größten Fan-Liebling. Für seine herausragende Performance regnete es Awards, darunter allein vier Emmys und einen Golden Globe. Und Dinklage wurde zu einem der bestbezahlten TV-Darsteller aller Zeiten. George R.R. Martin dürfte u.a. dank Dinklages pointierter Darstellung in „Station Agent” ein Auge auf den 1,32m großen Schauspieler geworfen haben.
Durch seine Rollen in den X-Men- und Avengers-Universen ist Peter Dinklage ein viel beschäftigter Mann in Hollywood.
Gaten Matarazzo
Der nächste Schauspieler mit Handicap gehört zu der coolsten Clique, die die Serienwelt je gesehen hat: Gaten Matarazzo aus dem Netflix-Hit „Stranger Things”. Sein Charakter Dustin gehört zu den beliebtesten Figuren der Serie und schenkte uns in der dritten Staffel +++ACHTUNG SPOILER!+++ mit einer ganz besonderen Gesangseinlage von „Never Ending Story” einen der überraschendsten und jetzt schon kultigsten Momente der jüngeren Seriengeschichte! +++SPOILER ENDE+++
Aus seiner Erbkrankheit Kleidokraniale Dysplasie, die zu einem veränderten Knochenbau führt, macht Matarazzo kein Geheimnis. Die Serienmacher schrieben seinen Charakter um und er nutzt seine Plattform, um über die Krankheit aufzuklären.
Es tut sich was. Auch dank des internationalen Erfolgs, den THE PEANUT BUTTER FALCON erlebte, werden Schauspieler mit Behinderungen sichtbarer in Hollywood. Aber wir sollten nicht nur nach Hollywood schauen. Es geht auch um die Frage, in welcher Gesellschaft wir alle leben wollen. Und der deutsche Synchronschauspieler Jonas Sippel hat absolut Recht, wenn er sagt:
„Menschen mit Trisomie 21 sind Menschen, die dazugehören!“
THE PEANUT BUTTER FALCON gibt es jetzt auf DVD, Blu-ray und digital. Die DVD kannst du dir mit einem Klick auf diesen Link bestellen.
Autor/-in: J.Leipnitz