Die dünne Grenze zwischen Kontrolle und Kontrollverlust: Wie Dylan O’Brien sich nach einem fast tödlichen Unfall neu erfand und warum mittlerweile auch Taylor Swift zu seinen Fans zählt.
Er war der clevere Typ in TEEN WOLF, der wagemutige Held in MAZE RUNNER – und dann ein Schauspieler, der beinah alles verlor: sein Gesicht, seine Karriere, sein Leben. Dylan O’Brien hat sich zurückgekämpft. Und zeigt heute verblüffende Wandlungsfähigkeit und Tiefe – aktuell in Jan Komasas dystopischem Zukunftsszenario THE CHANGE.
SEINE KARRIERE beginnt, wo viele amerikanische Karrieren beginnen: im Kinderzimmer. Dylan O’Brien, ist 14, als er seine ersten Videos auf YouTube stellt – kleine selbstgeschnittene Sketche, die zwischen Schulwitz und Selbstironie pendeln.
Es sind noch keine gezielten Bewerbungen um Rollen, sondern eher die natürliche Erweiterung seines Kinderzimmers ins Internet. Dylan ist ein unübersehbar talentierter Teenager, in dessen Elternhaus Filme als Grundnahrungsmittel gelten. Seine Mutter leitet eine Schauspielschule, sein Vater ist Kameramann. Zwei Pole, die Dylan früh prägen: Präzision und Technik, Gefühl und Ausdruck.
Doch es vergehen noch ein paar Jahre, ehe Dylan vor einer Profi-Kamera steht: in der Rolle des Stiles Stilinski in der Serie TEEN WOLF (2011-2017). Der Typus des besten Freundes, der klüger und sensibler ist als der Held, wurde sein Markenzeichen. Dylan O’Brien spielte sie mit einer Mischung aus trockenem Witz und nervöser Energie: zu schnell sprechend, zu scharfsinnig für die eigene Haut. In Interviews sagte er später, er habe nie bewusst eine Schauspielkarriere geplant – „Ich liebte einfach Filme,“ erzählte er, „und irgendwie war ich plötzlich in einem.“
In Hollywood wurde seine Bescheidenheit geschätzt. Der Durchbruch ließ nicht lange auf sich warten: THE MAZE RUNNER (ab 2014) machte ihn drei Jahre später zum Star einer Generation, die mit dystopischen Überlebensgeschichten im Stil der DIE TRIBUTE VON PANEM (ab 2012) aufwuchs. Die drei Folgen der MAZE RUNNER-Romanverfilmungen nach den Jugendbüchern von James Dashner waren unterschätzte Blockbuster mit insgesamt fast einer Milliarde Dollar Einspielergebnis.
Für die Rolle des Thomas brachte Dylan O’Brien etwas mit, das in diesem Genre selten ist: eine unaufdringliche Intelligenz und Verletzlichkeit. Kein Supermann, sondern ein Zweifler, der lieber nachfragt, bevor er schießt.
Doch im März 2016, während der Dreharbeiten zum dritten Teil, passierte das, was O’Brien später als „schlimmsten Tag meines Lebens“ bezeichnete. In Vancouver drehte das Team eine Stunt-Szene, die der sportliche und risikofreudige Dylan selbst übernahm. Er sollte, mit einem Sicherheitsgurt fixiert, über ein fahrendes Fahrzeug klettern. Ein technischer Fehler ließ ihn herunterstürzen, er wurde von einem anderen Fahrzeug erfasst und eingequetscht. Dabei erlitt er schwere Gesichtsfrakturen, eine Gehirnerschütterung und ein Schädel-Hirn-Trauma. „Meine ganze rechte Gesichtshälfte war gebrochen“, sagte er später. Die Produktion wurde gestoppt, monatelang war unklar, ob der Film überhaupt fertiggestellt werden könnte – oder ob Dylan O’Brien je wieder würde spielen können.
Es folgte eine Reha, die weit über die körperlichen Verletzungen hinausging. Der 25-jährige Senkrechtstarter musste lernen, sich wieder ohne Angst zu bewegen. Er sprach später offen über Panikattacken, über die Albträume, über das Gefühl, dass er nicht mehr derselbe Mensch war. „Ich dachte, vielleicht bin ich fertig. Vielleicht kann ich das nicht mehr.“ „Meine Eltern waren die ganze Zeit an meiner Seite“, sagte er in einem Interview. Sie und seine Schwester Julia halfen ihm, langsam wieder in den Alltag zurückzufinden.
Dann kam LOVE AND MONSTERS (2020) – ein Film, der in seiner Mischung aus Abenteuer und Romantik fast allegorisch auf O’Briens Leben nach dem Unfall passte. Ein Junge, der sich durchs Chaos kämpft und wieder Vertrauen lernt.
Seitdem hat Dylan O’Brien eine Art zweite Karriere begonnen – kleiner, bewusster, freier. Zum Beispiel in der Indie-Produktion FLASHBACK (2021): Darin spielt er scheinbar gefestigten Mann Anfang dreißig, dem ein obdachloser Mann auf der Straße seltsam bekannt vorkommt — und plötzlich überkommen ihn Erinnerungen an seine High-School-Zeit, in der er mit einer synthetischen Droge experimentierte. Als die Flashbacks immer eindringlicher werden — Vergangenheit, Gegenwart und mögliche Zukünfte verschmelzen — begibt er sich auf die Suche nach der Wahrheit.
Oder in der Social-Media-Satire NOT OKAY (2021): Danni Sanders (Zoe Deutch) träumt von Ruhm und Anerkennung. Um ihren Wunsch nach Aufmerksamkeit zu erfüllen, fälscht sie eine Einladung zu einem Retreat in Paris – und postet gefälschte Bilder von sich. Als die Stadt kurz darauf von einem Terroranschlag getroffen wird, gibt sie vor, eine Überlebende zu sein und geht viral. Doch die Wahrheit holt sie ein. Dylan O’Brien spielt hier die Rolle von Colin, einem oberflächlichen Influencer mit herrlich überzeichneter „Woke-Bro“-Persönlichkeit.
Die US-amerikanische Kritik lobt Dylan O‘Brien mittlerweile als „einen der instinktivsten Schauspieler seiner Generation“ (The Atlantic), als jemanden, der „ohne Eitelkeit“ spielt (The New York Times), „einen Darsteller, der weiß, wie man in einem Moment aufgeht, ohne sein Publikum zu verlieren“ (Variety).
Zu seinen Fans zählt auch Taylor Swift. Sie ist begeistert von seiner „unglaublichen Intensität und Verletzlichkeit zugleich“ und engagierte ihn für das Video zu ihrem Song „All Too Well“, bei dem sie selbst Regie führte.
Über seine Familie spricht er selten, aber immer mit Wärme. „Ich habe gute Eltern“, sagte er einmal. „Ich wüsste nicht, wie ich anders leben sollte.“ Seine Mutter, die ihm schon in seiner Jugend das Schauspiel beigebracht hat, ist für ihn geblieben, was sie immer war: sein sicherster emotionaler Bezugspunkt. Sein Vater, der Kameramann, vermittelte ihm die Liebe zum Handwerk, nicht zum Glamour. Auch seine Schwester, Julia O’Brien, spielt eine Rolle in seinem Leben – sie ist Designerin und Illustratorin, begleitet ihn gelegentlich auf Events. Es ist diese Normalität, die Dylan O’Brien zu einem so ungewöhnlichen Star macht. Vielleicht, weil er schon einmal fast alles verloren hat, wirkt er, als könnte er jederzeit wieder verschwinden – in eine kleine Wohnung, an ein Schlagzeug (sein zweites Talent), in ein ruhigeres Leben.
2024 kam SATURDAY NIGHT heraus, ein Film über die chaotische Premiere der legendären Comedy-Show Saturday Night Live. Hier spielt er eine wichtige Nebenrolle: den Komiker und „Blues Brother“ Dan Aykroyd.
Dylan O’Brien ist heute 34. Er trägt den Unfall noch im Gesicht – eine leichte Asymmetrie, kaum sichtbar. Er hat den jugendlichen Glanz gegen eine Spur Melancholie und Tiefe eingetauscht. Man spürt sein Wissen darum, wie dünn die Grenze zwischen Kontrolle und Kontrollverlust sein kann.
Das sieht man auch in SEND HELP, dem neuen Film von Sam „Spider Man“ Raimi, der im nächsten Jahr startet. Eine bitterböse Komödie, in der Dylan O’Brien mit Rachel McAdams auf einer einsamen Insel abstürzt und als zuvor überheblicher Boss ein paar wichtige Lektionen lernt.
Doch erst einmal sehen wir Dylan O’Brien in THE CHANGE: Jan Komasa zeigt in seinem englischsprachigen Debüt die Ausbreitung einer faschistoiden Ideologie in scheinbar gefestigten Kreisen. Dylan O’Brien spielt darin den zunächst nerdigen Sohn einer etablierten Ostküstenfamilie (darunter Diane Lane als seine Mutter und Zoe Deutch als eine seiner Schwestern) der sich unter dem Einfluss totalitärer Machtverhältnisse in einen eiskalten Opportunisten verwandelt, der sogar bereit ist seine eigene Familie ans Messer zuliefern.
THE CHANGE startet am 6. November in den deutschen Kinos.
Autor/-in: A. Smithee