In einem Land, das es nicht mehr gibt

Ute Mahler – Von bestechender Kontinuität in der Fotografie

Man würde den Frauen glauben, was sie da anhaben, hat Ute Mahler über den Kanon der Modefotografie in der DDR gesagt. Sie und ihr Mann Werner leisteten dazu über viele Jahre hinweg einen essenziellen Beitrag, der nun in Form des Films IN EINEM LAND, DAS ES NICHT MEHR GIBT auch den Weg ins Kino gefunden hat. 

Bis heute praktizieren sie, beide mit über 70 Lebensjahren, ihre künstlerische Arbeit. Nach einem Gespräch mit Ute Mahler, in dem sie sich viel Zeit nimmt, so klug wie unterhaltsam, präzise wie lustvoll und überhaupt nicht genervt über das Land, das es nicht mehr gibt und jenes, das gerade existiert, gesprochen hat, ist man klüger. Und ein gutes Stück beseelt. Weil es mit Gelassenheit einherging, mit persönlichen Erinnerungen, die dem journalistischen Gegenüber nicht wie „click, copy & paste“ dargereicht werden, sondern eigener Neugier entspringen. Ute Mahler mag Begegnungen. Auch jene ohne Kamera, aber erst recht, ist sie dabei. Gerade gehört das Archivieren zu ihrem Alltag.

„Wir haben ja auch eine Verantwortung den Bildern gegenüber.“

„Ich weiß nicht, was einmal aus ihnen wird, aber ich möchte sie in eine Form bringen, damit auch andere etwas damit anfangen können“, sagt Ute Mahler vor dem gemeinsamen Gang in den Keller, wo die Schachteln wohnen. Im Grunde sind es drei Archive, die beiden eigenen von Ute und Werner sowie die des Vaters, der im thüringischen Berka von Beruf Müllermeister war, von Berufung aber Fotograf, der er dann auch wurde. Deshalb der Umzug. Als Ute 14 war, ging die Familie nach Lehnitz. Lebenslinien, auch berufliche, wurden vorskizziert. 1974, nach dem Studium an der Hochschule für Buchkunst und Grafik Leipzig, bekamen die fotografischen ihre Farben.

 

Unten im Mahlerschen Keller des malerischen Hauses im Lehnitzer Grün, Baujahr 1978, überkommt den Besucher die unbändige Lust, all die Schachteln in den Regalen nach und nach und mit Sorgfalt und Bedacht zu öffnen. Das Schwarzweiß in Klein-, Mittel- und Großformat würde dominieren. Mahler-Porträts von Menschen auch, die man zwar sieht, denen aber ihr Geheimnis nicht gestohlen wird.

Frauen und Männer aus den Siebzigern, Neunzigern, von jüngst, die Namen haben und einige von ihnen große. Momente aus der Sibylle – wiedererkennbar. Jungs und Mädchen auf der Straße – zeitlos. Brüder und Schwestern – Ost und West. Toni Krahl und Tamara Danz – im eigenen Regal als Cover einer Langspielplatte zu finden.

„Es ist ja wie das Lesen eines Tagebuchs“,

meint Ute Mahler.

„Auch bei Fotografien, bei den wirklich guten wohlgemerkt, kann man noch Jahrzehnte danach ablesen, was man damals empfunden hat, als sie entstanden sind. Das ist verrückt. Bei einigen Bildern hingegen würde ich es abstreiten, dass sie von mir stammen ...“

Kaum vorstellbar! Die Kontinuität in der Arbeit von Ute Mahler ist eindrücklich. Zusammen mit ihrem Mann hat sie beispielsweise „Monalisen der Vorstädte“ in Reykjavik, Minsk, Berlin, Liverpool, Florenz gesucht und gefunden, dann großformatig abgelichtet, in Ausstellungen präsentiert und in ein Buch gepackt.

Kaum zu glauben, dass es erst vor etwas mehr als zehn Jahren war. Muss viel früher gewesen sein, kommt einem in den Sinn.

„Wenn ich mir die Gesichter anschaue, die ich schon in den Siebzigern fotografiert habe, ist da im Grunde das Gleiche drin wie in den Gesichtern von heute. Vielleicht meint das so etwas wie Kontinuität. Ich habe in den Gesichtern immer etwas gesucht, das ich bis heute noch nicht zu Ende gefunden habe. “

Ist es überhaupt ein Ziel, etwas zu Ende zu finden? Und was ist das überhaupt für eine schöne Wortkombination!

Die Technik hat Ute Mahler nur dann gewechselt, wenn es das Thema verlangt hat. Dem Zufall eine Chance zu geben, dafür brauchte es Kleinbild und die Entscheidung, seit 2008 nur noch im Großformat zu fotografieren, hat mit Entschleunigung, Konzentration und Gemeinsamkeit zu tun. Ute und Werner Mahler arbeiten seitdem gemeinsam.

Sie sagt darüber:

„Wir haben uns immer ausgetauscht. Es ist ein Glücksfall ohne jeglichen Konkurrenzgedanken. Dieses Alleinarbeiten ist anders, als wirklich allein zu sein. Schon zu DDR-Zeiten standen wir zudem immer in Kontakt mit Kollegen wie Arno Fischer oder Sibylle Bergemann, wir haben uns sehr oft gesehen und es wurde dabei immer über Bilder geredet. Es hat mit Vertrauen zu tun und diese Tradition wollten wir weiterführen.“

Auch in Familie?

„Unser Sohn hat gesagt, dass er nicht so viel arbeiten will wie seine Eltern. Er hat gespürt, wie besessen wir darin auch sind.“

Geworden ist er Bauingenieur.

Eine angenehme Unaufgeregtheit ist dabei, wenn es im Gespräch ums Land geht, das es nicht mehr gibt. Auch die Mahlers haben in den Achtzigern engste Freunde verloren, die manchmal erst nach einem zehrenden Prozess des Wartens weggegangen sind und mit denen es sich später nicht wieder zusammenführen wollte „wie in einem Reißverschluss“. Sie erinnern sich gern an die Partys im Lehnitzer Garten, bei denen sich „beide Seiten“ trafen, die sogenannten Etablierten mit den Off-Künstlern, hier die Musiker von Rockhaus, City und Silly, ...

... dort Frank Schäfer und Sven Marquardt. „Bei uns“, sagt Ute Mahler, „habe ich keine Separation wahrgenommen. Alle waren hier, weil wir nicht dort waren.“ Mahlers haben nie in der Stadt gelebt.

Obwohl Modefotografien immer Auftragswerke gewesen sind, hat Ute Mahler sie zunächst für sich selbst gemacht. Das sei die Uridee für jedes Foto und das Gefühl dafür mit den Jahren stärker geworden:

„Ich hatte den Wunsch, dass es stets mehr wird als die Abbildung einer Szene, eines Kleides oder einer Frau. Ich wollte mit den Bildern Geschichten erzählen und es waren meine Geschichten." 

„Wenn ich zu sehr an den Auftraggeber denke, wird es eben zu sehr Auftragsarbeit. Und wenn ich dann noch an die Betrachter denke, werde ich völlig wirr. Es ist die Balance zwischen Persönlichkeit und Allgemeingültigkeit. Botschaft ist ein großes Wort, aber man macht ja ein Foto zunächst, um jemandem mitzuteilen, wie man etwas gesehen hat und es wäre schön, wenn es der andere genauso lesen könnte. Bilder sind aber auch wie Kinder, sie müssen allein raus in die Welt und dann müssen sie stark sein, um längere Aufmerksamkeit zu bekommen. Man muss den Bildern vertrauen.“

Die Vision, vielleicht gar Utopie, autark zu entscheiden, wer die eigenen Werke verwenden darf, führte 1990 zur Gründung der Agentur Ostkreuz in Berlin.

„Wir haben uns sofort in diese neue Gesellschaft gestürzt. Dass es alle unsere bisherigen Auftraggeber bald nach der Wende nicht mehr geben würde, war ja klar. Wir hatten Glück, dass die Westmagazine neugierig waren und auf unsere Kompetenz als DDR-Bürger gesetzt haben. Aber wir dachten, dass es jetzt rausgeht in die Welt, stattdessen ging es nach Radebeul oder Stavenhagen. Das war zunächst ein wenig enttäuschend, aber es war interessant. Ich bekomme heute noch Anfragen von namhaften Magazinen, die mich zu DDR-Themen befragen. Ich mach das aber nicht mehr. Meine Zeit ist zu kostbar. Ich will nicht mehr über Herkunft reden, es ist genug gesagt worden.“

Sehr intensiv hatte Ute Mahler damals mit der Autorin Birgit Lahann für gemeinsame Geschichten im „Stern" gearbeitet.

„Dass ich die Sprache im Osten kannte und selbst gesprochen habe, hat uns manchmal Türen geöffnet. Es war erstaunlich. Dabei ist Birgit Lahann eine sehr freundliche, offene, charmante Frau. Aber sie sprach eben anders.“

Die Agentur Ostkreuz mit heute 26 freien Fotografinnen und Fotografen – seit 2004 auch mit der Ostkreuzschule für Nachwuchs – war und ist den Mahlers eine Herzensangelegenheit. Zu den sieben Ostkreuz-Gründern gehörte, neben dem Ehepaar, auch die 2010 verstorbene Sibylle Bergemann. Ute Mahler:

„Ich war 40, Sibylle 47. Wir hatten eine Karriere in der DDR hinter uns. Wir waren bekannt. In der neuen Gesellschaft waren wir unbekannt, es war nicht einfach, noch einmal neu anzufangen. Es gab ökonomischen Druck. Wir waren bis dahin alle freischaffend, dann wollten wir ein Kollektiv. Uns war klar, dass wir als Gruppe lauter sein können, präsenter. Wir waren allesamt hochgeschätzte Kollegen mit unterschiedlichen Bildsprachen und haben uns nicht nur gegenseitig respektiert, sondern fanden die Arbeiten des jeweils anderen gut. Und wir wollten ein Stück DDR-Fotokunst stärken, wollten uns zeigen, uns behaupten, deshalb ja auch der Name Ostkreuz. Wir waren stolz auf die sozialdokumentarische DDR-Fotografie, sie war großartig, das wollten wir mitnehmen."

„Wir haben damals gute Entscheidungen getroffen, wie sich herausgestellt hat. Wir haben zum Beispiel ziemlich schnell junge Leute aufgenommen, anstatt uns auf uns selbst auszuruhen. Es musste in Bewegung bleiben.“

Eine besondere Verbindung hat Ute Mahler, die von 2000 bis 2015 eine Professur an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg innehatte, nach Berka an der Wipper, in ihre Heimat, wo in den 50ern schon Vater Ludwig Schirmer fotografierte, dann Werner Mahler in Zeitsprüngen ganze Serien schoss. Seit einem Jahr fotografiert sie selbst dort, wo der Name Mahler für sieben Jahrzehnte chronistische Bildarbeit steht. „Ich finde es spannend zu sehen, was ich heute in Berka suche.“ Die Deutungshoheit über die eigene Vergangenheit haben die Mahlers jedenfalls nie aus der Hand gegeben.

„Durch die Arbeit am Archiv bin ich ständig im Gestern und erlebe manche Dinge noch einmal, was schön ist. Dann aber bin ich auch in der Zukunft, weil ich mit Werner Projekte, Bücher und Ausstellungen, eben auch über Berka, plane. Etwas in Ordnung zu bringen, aufzuräumen und noch etwas vorzuhaben, ist eine spannende Mischung. Es ist perfekt.“

Ute und Werner Mahler, die sich seit Schulzeiten kennen, sind 2020, nach drei Jahrzehnten, für eine exklusive Serie in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" noch einmal zur Modefotografie zurückgekehrt.

Man glaubte auch diesen jungen Frauen und Männern, was sie da anhatten. Beim Shooting in Werben/Sachsen-Anhalt waren die Töchter von Aelrun Goette und Grit Seymour dabei sowie Marlene Burow, die Suzie aus IN EINEM LAND, DAS ES NICHT MEHR GIBT. Marlene passe in die Tradition ihrer Arbeit, gibt sich Ute Mahler angetan:

„Ich habe ja immer wieder mit den gleichen Frauen gearbeitet, weil es immer wieder etwas zu entdecken galt. Man wurde nicht fertig mit ihnen. Man kam ihnen nicht auf den Grund. So ähnlich geht es mir mit Marlene. Sie hat ein Geheimnis in sich, wenn sie spricht, sich bewegt, wenn man ihr ins Gesicht schaut. Man sieht immer wieder nur Teile davon, sie behält vieles zurück.“

  

Marlene Burow
IN EINEM LAND, DAS ES NICHT MEHR GIBT, Rechte bei Ziegler Film/Tobis/Foto: Peter Hartwig

Einiges an Marlene Burow kann Ute Mahler, die auch das Kino liebt, jetzt vielleicht auf der Leinwand entdecken. Auf dem Umweg. IN EINEM LAND, DAS ES NICHT MEHR GIBT läuft jetzt im Kino.

HIER TICKET SICHERN

 

Autor: Andreas Körner

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