Ezra - Eine Familiengeschichte

All inclusive - Das neue Hollywood

William A. Fitzgerald
EZRA - EINE FAMILIENGESCHICHTE, Rechte bei Tobis

Hollywood wird diverser. Nicht immer ganz freiwillig (#MeToo & #OscarsSoWhite lassen grüßen), aber dennoch öffnen sich die Türen für immer mehr Communities. Und die bringen spannende Geschichten mit.

Eine davon läuft aktuell im Kino: EZRA - EINE FAMILIENGESCHICHTE erzählt von einer Patchwork-Familie, die mit den typischen Herausforderungen des Alltags zu kämpfen hat. Und mit einer ganz besonderen Herausforderung namens Ezra. Ezra ist elf Jahre alt, liebt STAR WARS, Dostojewski und Dinosaurier, haut gerne mal einen flotten Spruch raus. Und er ist Autist.

 

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Der Film mit Robert De Niro, Whoopi Goldberg, Bobby Cannavale und Rose Byrne hat einen genialen Hauptdarsteller: William A. Fitzgerald ist im Spektrum und er spielt die erste Rolle seines Lebens so fantastisch und mit einer Selbstverständlichkeit, dass er seine gestandenen Co-Stars fast schon alt aussehen lässt. Indem Regisseur Tony Goldwyn (BETTY ANNE WATERS) sich dazu entschied, die Rolle eines autistischen Kindes mit einem autistischen Kind zu besetzen, machte er alles richtig: 

„Einen neurodiversen Hauptdarsteller zu haben, war der Schlüssel.“

Während der gesamten Produktionszeit legten Goldwyn und sein Team Wert darauf, auf allen Ebenen der Besetzung und der Crew Menschen mit Erfahrung zu Neurodivergenz einzubeziehen und holten sich externe Berater zu Hilfe, um ihre eigenen blinden Flecken auszugleichen. Der Film wurde zuerst Mitgliedern der Autismus-Community gezeigt, um ihr Feedback einzuholen. 

„Ich erinnere mich, wie ein Kind zu mir kam und sagte: ,Das ist mein Leben in diesem Film‘ Das bedeutete mir viel.“ (Tony Goldwyn)

Drehbuchautor Tony Spiridakis ist selbst Vater eines autistischen Sohnes, genau wie Robert De Niro, der im Film den Opa von Ezra spielt. 

Robert De Niro, William A. Fitzgerald
EZRA - EINE FAMILIENGESCHICHTE, Rechte bei Tobis

Die Unsichtbaren sichtbar machen

Dass die Besetzung von Charakteren, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen, nicht nur wichtig und richtig ist, sondern auch erfolgreich funktioniert, hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt. Man denke an den Oscar®-Gewinn des gehörlosen Schauspielers Troy Kotsur, der für seine Rolle in CODA 2022 als bester Nebendarsteller ausgezeichnet wurde. 

 
Anders als die französische Vorlage entschied man sich in der US-amerikanischen Version der Geschichte dafür, die Rollen der Gehörlosen authentisch zu besetzen, u.a. auch mit der Oscar®-Preisträgerin Marlee Matlin, die sich seit Langem für mehr Sichtbarkeit von gehandicapten Schauspielern in Hollywood einsetzt:

„Es gibt etliche Schauspieler mit Behinderungen, nicht nur in den USA. 2% der Rollen in Hollywood sind für behinderte Figuren und von diesen 2% werden nur 5% von Menschen mit Behinderung gespielt. Der Rest wird von Schauspielern ohne Handicap gespielt.“

Matlin wünscht sich, dass die Castingverantwortlichen die Bedeutung von echter Diversität noch mehr anerkennen:

„Diversität ist wundervoll. Ich denke aber, dass man Menschen mit Behinderung nicht als Teil dieser Diversität begreift.“

Obwohl 2017 gleich eine ganze Oscar®-Verleihung unter dem Thema „Diversität“ stand, suchte man behinderte Schauspieler:innen vergebens. Das änderte sich 2020, als Zack Gottsagen auf der Bühne stand, um den Preis für den besten Kurzfilm zu präsentieren.

Neben Shia LaBeouf spielte Gottsagen die Hauptrolle in dem gefeierten Independentfilm THE PEANUT BUTTER FALCON, der 2019 zu dem Feel-Good-Film des Jahres avancierte. Darin büxt der Heimbewohner Zak (Gottsagen) mit Down-Syndrom und mit einer großen Leidenschaft für Wrestling aus, um sich seinen großen Traum zu erfüllen. 

 
Casting kontrovers

Dass ein Schauspieler mit Behinderung solch eine Rolle spielt, ist bislang aber die traurige Ausnahme. Dabei liebt Hollywood schon seit Langem Filme über Menschen, die anders sind. Man denke an FORREST GUMP (1994), MEIN LINKER FUSS (1989) oder RAIN MAN (1989). Alles gefeierte Darstellungen von Schauspielern. Von nicht-behinderten Schauspielern, wohlgemerkt. Nun ist es aber der Job eines Schauspielers, etwas darzustellen, was er nicht ist. Dustin Hoffman tat das so gut, dass er den Oscar® als bester Hauptdarsteller gewann.

 

Hoffmans Gewinn löste eine Art Trend in Hollywood aus, das fortan besonders oft Trophäen für Darstellungen von Charakteren mit Behinderungen oder psychischen Störungen vergab. Es dauerte nicht lange und RAIN MAN sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, Stereotype über Autismus zu fördern.

Andererseits war der Film für viele der Zuschauer:innen aber auch der erste Berührungspunkt mit dem Thema Autismus und sensibilisierte eine breite Masse für das Thema. RAIN MAN ist ein Beispiel, das zeigt, welche Risiken und welche Potenziale in Filmen stecken, die weit mehr als Unterhaltung sein können. Darstellungen von Autismus im Kino gab es seither etliche und nebeneinander gelegt zeigen sie, was mit dem Wort „Spektrum” gemeint ist: Leonardo DiCaprios Arnie in GILBERT GRAPE - IRGENDWO IN IOWA (1994) wird mit einer Autismus-Spektrum-Störung in Verbindung gebracht.


Ähnlich angelegt ist die Figur, die Sean Penn in ICH BIN SAM (2002) spielte. Der Film erhielt gemischte Kritiken und sah sich wie RAIN MAN dem Vorwurf ausgesetzt, platte Klischees zu bedienen. Die jüngste Castingkontroverse löste allerdings ein Star aus, der selbst zu den wenigen Schauspielern mit Behinderung gehört, die es in Hollywood geschafft haben: Peter Dinklage wurde durch seine Hauptrolle in STATION AGENT (2004) bekannt und als Tyrion Lannister in GAME OF THRONES zum Star.

In einem Podcast warf Dinklage Disney 2022 vor, mit ihrer Realverfilmung des Klassikers SCHNEEWITTCHEN Stereotype über Kleinwüchsige zu propagieren, obwohl sich der Konzern doch der Förderung von Diversität verschrieben habe. Disney reagierte und animierte die Zwerge. Eine Entscheidung, die vor allem aus der Community Kleinwüchsiger kritisiert wird. Der als Hornswoggle bekannt gewordene Wrestler und Schauspieler Dylan Mark Postl sagt:

„Kleinwüchsige Schauspieler träumen von solchen Rollen, besonders in einer großen Produktion wie der von Disney. Das waren sieben Rollen, von denen es ohnehin nur wenige für Kleinwüchsige gibt, die uns auf den Leib geschrieben wurden. Das war nicht fortschrittlich, er hat unserer Community geschadet.”

Neue Maßstäbe

Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences, die jährlich die Oscars® vergibt, hat jüngst neue Maßstäbe für Inklusion beschlossen. Demnach sollen Filme besondere Kriterien erfüllen, die für Vielfalt und Inklusion sprechen. Unterschiedliche Lebensrealitäten und Perspektiven sollen auf der Leinwand abgebildet werden. Aber auch hinter den Kulissen soll es diverser zugehen.

William A. Fitzgerald, Tony Goldwyn
EZRA - EINE FAMILIENGESCHICHTE, Rechte bei Tobis

Es soll bessere Einstiegsmöglichkeiten für Menschen mit Handicap geben. Die Industrie will barrierefreier werden. Ein Film, der in diesem Bereich bereits neue Maßstäbe gesetzt hat, ist EZRA - EINE FAMILIENGESCHICHTE. Laut Fabian Diekmann, Fachreferent bei Autismus Deutschland e.V., handelt es sich bei dem Film um ein „[t]ragisch-komisches Roadmovie, bei dem Autismus Teil der Geschichte ist, ohne klischeehaft zu werden“.

 

William A. Fitzgerald, Rose Byrne
EZRA - EINE FAMILIENGESCHICHTE, Rechte bei Tobis

Auch der Autismus Verband USA äußert sich begeistert:

„Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich bin, dass ich die Sondervorführung Ihres erstaunlichen Films EZRA erleben durfte. Ich habe ihn geliebt [...]. Die meisten Darstellungen von Menschen mit Autismus und ihren Familien entsprachen nicht meinen Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Autisten und ihren Familien. EZRA tut das und noch so viel mehr. Von der Handlung - die sich sehr intim, ergreifend und persönlich anfühlte [...] bis hin zu den Schauspielern.“

EZRA - EINE FAMILIENGESCHICHTE läuft jetzt im Kino.

Autor/-in: J.Leipnitz

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