Ammonite

Vom Tabu zum Phänomen: Lesbische Liebe erobert das Kino

Es ist noch keine 100 Jahre her, da rannten Menschen schreiend aus dem Kino, wenn sich zwei Frauen leidenschaftlich küssten. Und noch vor nicht einmal 60 Jahren mussten Menschen ins Gefängnis, wenn sie lesbische Liebe im Kino zeigten. Alles Schnee von gestern?

Das queere Kino treibt gerade überall auf der Welt bunte Blüten. Dabei hatte es besonders lesbische Liebe im Film lange Zeit schwer. Das jüngste Beispiel für den Siegeszug der Liebe von Frau zu Frau auf der Leinwand ist das Drama AMMONITE, in dem Kate Winslet und Saoirse Ronan eine unerwartete Leidenschaft füreinander entwickeln.

 

Saoirse Ronan, Kate Winslet
AMMONITE, Rechte bei Tobis

Doch bis es soweit war, hatte die lesbische Liebe einen langen und steinigen Weg durch die Kinosäle der vergangenen Jahrzehnte hinter sich. Wir verfolgen ihre Schritte vom Tabuthema zum Phänomen, das das Kino heute so oft bereichert wie nie zuvor.

„Mädchen in Uniform” (1931) – Ein Leuchtturmprojekt für lesbische Liebe im Kino

Der allererste bahnbrechende Film für die lesbische Liebe im Kino kam aus Deutschland. Der Spielfilm „Mädchen in Uniform” ging 1931 einmal um die Welt und wurde dank seines begeisterten Publikums im Ausland - in den USA, Mexiko, Japan und Frankreich - ein kommerziell großer Erfolg. In Deutschland hingegen erhielt das Drama zunächst Jugendverbot, bevor es im aufkeimenden Dritten Reich gänzlich verboten wurde. Der Film brüskierte die einheimischen Zeitgenossen nicht nur mit einer Liebelei zwischen der Internatsschülerin Manuela (Hertha Thiele) und ihrer Lehrerin Fräulein von Bernburg (Dorothea Wieck). 

 

Er überraschte auch mit dem Umstand, dass zwei der wichtigsten Posten mit Frauen besetzt waren. Regie führte die Österreicherin Leontine Sagan. Das Drehbuch schrieb Christa Winsloe. Bei der seichteren Neuverfilmung mit Romy Schneider von 1958 hatte der Mut die (nun männlichen) Filmemacher bereits wieder verlassen und so wurde die lesbische Liebesbeziehung entschärft.

 

Ebenso befangen ging man mit dem Thema in den 60er Jahren in den USA um. 

„Infam” (1961) & „Das Doppelleben der Schwester George” (1968) – Lesbische Liebe als Tabu

Als Regie-Legende William Wyler sich dem seinerzeit heiklen Thema annäherte, waren Liebesgeschichten zwischen Frauen bevorzugt in abgeschlossenen Settings angesiedelt wie in Gefängnissen, Klostern oder in Schulen. In seinem Drama „Infam” wird durch die Behauptung einer garstigen Schülerin die enge Beziehung zweier Lehrerinnen zueinander in ein skandalöses Licht gerückt.

 

Gleich drei der größten Hollywood-Stars wagten sich an die Hauptrollen: Shirley MacLaine, Audrey Hepburn und James Garner. Auf Drängen des Studios vermied Wyler jegliche erotische Momente zwischen den beiden Protagonistinnen. Die Selbstzensur sicherte den Erfolg des Films. Robert Aldrich ging in seinem Drama „Das Doppelleben der Schwester George” den entgegengesetzten Weg und setzte den Liebesakt zwischen zwei Frauen explizit in Szene.

 

Die noch während der Dreharbeiten neu installierten Richtlinien für Altersfreigaben von Filmen in den USA bestraften seinen Tabubruch mit einem X-Rating, was das Marketing für den Film und Kinoaufführungen in weiten Teilen des Landes unmöglich machte. Der Regisseur wehrte sich vergeblich dagegen und ein Kinobetreiber wurde zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt, nachdem er den Film gezeigt hatte.

„Heavenly Creatures” (1994) – Lesbische Liebe rückt ins Scheinwerferlicht

Nachdem Frauen in den 70er Jahren ihre Liebe zueinander im Kino eher in der Kategorie „Schmuddelfilmchen” ausleben durften, schafften es lesbische Beziehungen in den 80ern und 90ern vereinzelt ins Mainstream-Kino – allerdings nur in Andeutungen wie in Steven Spielbergs Romanverfilmung „Die Farbe Lila” von 1985 oder noch subtiler in Ridley Scotts „Thelma & Louise” und Jon Avnets Drama „Grüne Tomaten”, beide von 1991. 

 

Das schwule Kino übernahm die queere Filmszene im Laufe der 80er Jahre bis zum Ende der 90er immer mehr und erreichte eine stärkere Kommerzialisierung schwuler Filme. Die lesbische Liebe im Film profitierte nicht von dieser Entwicklung und blieb zunächst weiterhin in weiten Teilen marginalisiert. Dass sich das bald ändern würde, kündigte sich 1994 mit Peter Jacksons „Heavenly Creatures” an. Meisterhaft setzt er darin die zwei von Kate Winslet und Melanie Lynskey gespielten Teenagerinnen in Szene, die eine obsessive Liebe zueinander entwickeln, welche sie in fantasievollen, sexuell aufgeladenen Rollenspielen ausleben. 

 

Der Film machte Peter Jackson zum neuen Star am Regie-Himmel und Kate Winslet zur vielversprechendsten Newcomerin des Jahres. 

„Aimée & Jaguar” (1999), „Monster” (2003) & „The Kids Are All Right” (2010) – Lesbische Liebe wird oscarreif

Mit einem feinen Gespür für das Seelenleben seiner Figuren erzählte der deutsche Regisseur Max Färberböck 1999 die auf realen Schicksalen beruhende Liebesgeschichte von Aimée und Jaguar, der jüdischen Widerstandskämpferin Felice Schragenheim (Maria Schrader) und der deutschen Offiziersfrau Lilly Wust (Juliane Köhler).

 

Juliane Köhler und Maria Schrader wurden mit dem Silbernen Bären als Beste Darstellerinnen auf der Berlinale 1999 ausgezeichnet und „Aimée & Jaguar” schaffte es 2000 mit einer Nominierung als Bester fremdsprachiger Film sogar zu den Golden Globes. Nur drei Jahre später wurde die lesbische Liebe im Film mit einem Oscar ausgezeichnet. Genauer genommen gelang dies „Monster“-Hauptdarstellerin Charlize Theron, die sich als Serienkillerin Aileen Wuornos die Seele aus dem Leib spielte.

 

Patty Jenkins' empathischer Blick auf die unheilvolle Liaison von Wuornos mit der von Christina Ricci gespielten Selby ließ Theron die Performance ihres Lebens abliefern. Dass der Blick einer Frau der lesbischen Liebe im Kino zu einer wohltuenden Selbstverständlichkeit verhelfen kann, zeigt die Komödie „The Kids Are All Right” (2010) über ein lesbisches Elternpaar, dessen Kinder ihren Erzeuger kennen lernen wollen. Die Süddeutsche Zeitung lobte die Regisseurin Lisa Cholodenko für deren feinfühlige Inszenierung und schrieb, sie

„behandelt kein Thema, sondern zeichnet Charaktere.”

 

Der Unbekümmertheit, mit der der Film das Familienleben des von Annette Bening und Julianne Moore gespielten Paares zeigt, konnten sich auch die Award-Jurys nicht entziehen. „The Kids Are All Right” wurde für vier Oscars (darunter Bester Film) nominiert, gewann einen Golden Globe und den Teddy der Berlinale 2010.

„Blau ist eine warme Farbe” (2013) & „Die Taschendiebin” (2016) – Eine neue Kontroverse

Nachdem sich die lesbische Liebe ihren Platz in der Kinowelt erobert hat, gerieten in den letzten Jahren Filme darüber in die Kritik. Allerdings nicht wegen des Themas, sondern aufgrund der Perspektive, aus der es gezeigt wird. Im immer noch von Männern dominierten Filmgeschäft ist der Blick der Filmemacher in der überwältigenden Anzahl der Filme natürlicherweise ein Männlicher. Filme über Liebesbeziehungen zwischen Frauen bilden da keine Ausnahme. Die Leistung der beiden Hauptdarstellerinnen ist in dem von Filmkritikern glühend verehrten Coming-of-Age-Film „Blau ist eine warme Farbe" unumstritten grandios.

 

Allerdings löste die Inszenierung der Sexszenen eine Kontroverse aus. Regisseur Abdellatif Kechiche geriet zunächst in die Schlagzeilen, nachdem sich Léa Seydoux und Adèle Exarchopoulos, die in einer beispiellosen Aktion in Cannes gemeinsam mit dem Film ausgezeichnet wurden, kritisch über ihn äußerten. Kechiches Inszenierung des lesbischen Liebesspiels sorgte in der queeren Community im besten Fall für Kichern. Im schlimmsten Fall warf man ihm vor, die Sexszenen so angelegt zu haben, dass sie den Voyeurismus heterosexueller Männer befriedigen. Ähnliche Kritik wurde an Park Chan-wook bei seinem Thriller „Die Taschendiebin” laut.

 

Dass das auch ganz anders geht, zeigt sich in jüngster Zeit glücklicherweise immer deutlicher.

Von „Carol” (2015) bis AMMONITE (2021) – Lesbische Liebe als essenzieller Baustein einer bunten Filmlandschaft

Das queere Kino und die lesbische Liebe darin erleben derzeit eine Blüte. Zu verdanken ist das auch der New Yorker Produzentin und Mitbegründerin des New Queer Cinema Christine Vachon, die u.a. die Karriere von Todd Haynes (VERGIFTETE WAHRHEIT) anschob. Sein stilles, aber eindringlich gespieltes Drama „Carol” beweist, dass sich Vachon genau den Richtigen ausgesucht hat.

 

Wie der Filmkritiker Dieter Oßwald richtig bemerkt, macht Haynes

„aus dieser verbotenen Liebe kein plumpes Botschaftskino, die gesellschaftspolitische Komponente läuft gleichsam unaufdringlich nebenher.”

Bei Yorgos Lanthimos' „The Favourite - Intrigen und Irrsinn” von 2018 weiß man gar nicht, wo man vor lauter Begeisterung anfangen soll. Das perfide Machtspiel dreier Frauen, bei dem sich heimliche Liebesdienste mit gegenseitigen Erniedrigungen abwechseln, ist mit Olivia Colman als Queen Anne, Rachel Weisz als ihrer Vertrauten und Emma Stone, die sich als machthungriger Emporkömmling entpuppt, herausragend besetzt.

 

Nach dem BAFTA, dem Europäischen Filmpreis und dem Golden Globe war der Gewinn des Oscars als Beste Hauptdarstellerin für Olivia Colman unvermeidlich.

2019 haben es mit „Booksmart” und „Porträt einer jungen Frau in Flammen” gleich zwei Filme auf die große Leinwand geschafft, die sämtliche Schlüsselrollen nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera mit Frauen besetzten. „Booksmart”-Regisseurin Olivia Wilde fand in der dreifach Oscar-nominierten Produzentin Megan Ellison (AMERICAN HUSTLE) tatkräftige Unterstützung und arbeitete mit vier Autorinnen zusammen, die die beiden Musterschülerinnen Molly (Beanie Feldstein) und Amy (Kaitlyn Dever) auf eine wilde Fahrt durch den letzten Tag auf der Highschool schicken.

Einen ungleich leiseren Ton schlägt die Französin Céline Sciamma in ihrem filigran gespielten Drama „Porträt einer jungen Frau in Flammen” an. Blicke spielen in der Geschichte um eine Malerin (Noémie Merlant), die das Porträt einer jungen Frau (Adèle Haenel) malen soll, die entscheidende Rolle. Nach der Exposition tauchen Männer in dem fabelhaften weiblichen Cast fast schon wie aus Versehen im Bild auf. Als lesbische Regisseurin bietet Sciamma, die sich übrigens öffentlich sehr wohlwollend über „Blau ist eine warme Farbe" geäußert hat, eine weitere wertvolle Perspektive auf die Frauenliebe im Film.

 

Nachdem sich Regisseur Francis Lee für sein Spielfilmdebüt „God’s Own Country" 2017 der Liebe widmete, die unverhofft zwei Schafhirten trifft, geben sich in seinem zweiten Liebesdrama AMMONITE Kate Winslet und Saoirse Ronan trotz widriger Umstände ihrer Leidenschaft füreinander hin.

 

Der queere Regisseur entschied sich, die Choreografie der intimen Szenen seinen Protagonistinnen Kate Winslet und Saoirse Ronan zu überlassen, was besonders Winslet nur allzu gerne übernahm:

„Ich war noch nie so stolz darauf, eine Liebesszene zu drehen, wie bei dieser. Und ich fühlte mich auch noch nie weniger gehemmt."

Was die verbotene Liebe für die beiden ungleichen Frauen im England der 1840er bedeutet, erfährst du ab dem 4. November im Kino. Wir freuen uns jetzt schon auf einen weiteren großartigen Fixstern am immer bunter werdenden Hollywood-Himmel!

Autor/-in: J.Leipnitz 

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